Italien – Sonneninsel Grado

Weingüter, Weinstöcke, Weinverkauf, Weinverkostung. Alles was mit Wein zu tun hat, reiht sich an alte Industriearchitektur und Tankstellen. Das Licht ist flau, die Farben sind verschwunden. Die Fahrt Richtung Osten ist ziemlich langweilig und unspektakulär.

Aber endlich, in Annone Veneto ein Lichtblick. Die Mode-Mall von Zanchetta präsentiert sich umwerfend vintage-amerikanisch. Ein Zückerchen der Extraklasse.

In Grado peilen wir den Parkplatz an, wo wir vor 4 Jahren schon mal waren. Aber das Hörnli muss umkehren und sich einen Platz auf dem nebenan liegenden offiziellen Stellplatz suchen.

Der Parkplatz ist nämlich von Motocross- und Endurofahrern besetzt, die auf der benachbarten Wiese ein Rennen der italienischen Meisterschaft ausgetragen haben. Beta, GasGas, Fantic, Sherco, KTM und Honda. Alle Spezialisten für sportliches Motorradfahren im Dreck sind da.

Das Rennen ist vorbei. Geblieben ist eine lebendige Feststimmung mit Musik, Aperol Spritz, Bier, Spanferkel aus dem benachbarten Slowenien und Hamburger. Einen Hamburger gibt’s für mich jetzt auch. Mit den Peperoni vom Grill und dem Käse schmeckt er sehr lecker.

Das Schlaraffenland für Selbstversorger liegt etwa 200 m vom Stellplatz entfernt. Hier nennt es sich Eurospar. Und es wäre auch alles ok, wenn nur die Süssigkeiten nicht so hoch oben wären.

Nach dem Wochenende ziehen wir auf den fast leer gewordenen Parkplatz beim Meer um. Hier steht man ruhig und wie überall in Grado bis Ende März kostenlos. Der Blick auf Pinien und Meer ist einfach wunderschön.

Die Pasticceria Gobatto ist keine 5 Gehminuten entfernt und bietet gutes Brot, feine Brioche und sensationelle Berliner an. Volltreffer.

Manchmal stehen wir hier alleine. Am Wochenende ist der Platz aber gut besucht. Dann kommen unsere Nachbarn aus Italien, Spanien, Ungarn, Slowenien und vor allem Österreich. Ein österreichischer Nachbar mit einem kleinen Kastenwagen hat zwei Muttis an Bord. Ist das jetzt ein Mormone, ein Scheich oder ist es ganz einfach Vielweiberei? Was geht da gerade ab in Österreich?

Österreicher waren übrigens auch früher schon in Grado. Seit dem 14. Jahrhundert waren die Habsburger an der oberen Adria und das Gebiet gehörte zu den Österreichischen Küstenlanden. Österreich war also drauf und dran eine grosse Seefahrtsnation zu werden.

Kaiser Franz Josef residierte hier in der Villa Erica. 1892 verlieh er Grado den Titel Kurbetrieb. Um ihm den Strandzugang zu erleichtern wurde eigens eine Türe im Jugendstil geschaffen, die sogenannte Kaisertür.

Am Strand werden Balneario-Häuschen aus dem Winterschlaf geholt, Stühle und Tische aufgestellt und es wird überall sauber gemacht. Ein Team von 4 Männern bohrt Löcher in den Strand um Sonnenschirm-Halterungen aufzustellen. Die freundlichen Männer meinen, dass sie jedes Jahr 4000 Löcher bohren.

4000 Löcher für 4000 Sonnenschirme? Echt jetzt? Ein Blick von oben macht schnell klar, dass das wohl wahr ist. Man kann sich jetzt gar nicht ausmalen, was im Sommer hier los sein muss. Wahnsinn!

Quelle: Apple Maps

 

Der Strand ist hier ausgesprochen flach und sehr kleinkinderfreundlich. Man könnte hundert Meter im Schlick waten, bis man endlich mal schwimmen kann. Deshalb hat man hier wahrscheinlich auch einen Steg ins Meer gebaut.

Die Untiefe vor Grado ist auch der Besatzung eines Segelboots zum Verhängnis geworden. Sie hat eine Hanse 415, ein über 12 m langes Segelboot, genau vor unserem Hörnli auf Grund gesetzt. Also etwa 300 m von uns entfernt. Zum Glück kann das Schiff zwei Tage später geborgen werden.

Tags darauf fährt die MSC Explora I vorbei ohne auf Grund zu laufen. Das 249 m lange und 32 m breite Kreuzfahrtschiff wurde dieses Jahr bei der Fincantieri-Werft im benachbarten Monfalcone fertig gestellt und absolviert nun die Sea Trials. Auf der Probefahrt wird das Schiff ausgiebig getestet und Manöver gefahren. Ist alles in Ordnung, wird das Schiff der Reederei übergeben.

Ab diesem Sommer wird das Schiff Gutbetuchte im Luxus-Segment verwöhnen. 15 Tage ab Southampton (England) bis Kopenhagen (Dänemark) kosten pro Person ab 11000 Euro. Dafür reisen wir zu zweit fast ein Jahr lang.

Mal zeigt der Himmel ein zartes hellblau, mal ein kräftiges dunkelblau und manchmal ist es hellgrau. Die ständig wechselnden Lichtstimmungen am Meer sind so faszinierend.

Die hübsche top gepflegte Altstadt von Grado ist immer einen Besuch wert.

Blanc du Nil heisst ein internationales Mode-Franchise-Geschäft aus Frankreich. Jedes Geschäft der Kette ist mit der Ortschaft beschriftet, wo es sich befindet. In Grado heisst es “Ville-City Name”. Wenn Visual Merchandising schief geht…

In der Nacht sieht Grado besonders malerisch aus.

Vom Open-Air-Konzert einer Cranberries-Coverband bekommen wir leider nur noch die letzten zwei Lieder mit. Was für ein Sound, was für eine Stimmung. Leider ist es aber so kalt, dass sich die Band wegen der Kälte entschuldigt und heimgeht.

Ausserhalb der Altstadt hat Grado das Flair von Clearwater Beach (Florida, USA). Hier wie dort durften sich die Architekten in den 1960er und 1970er-Jahren und auch später noch so richtig austoben. Und das hat recht gut geklappt.

Kulmination ist der imposante Palazzo regionale dei congressi von 1980. Ein liebevoll gepflegtes Meisterwerk der Architektur seiner Zeit und mit 2000 m2 Fläche riesig.

Im Stadtteil Pineta scheint die Zeit in den 1970ern stehen geblieben zu sein. Es gibt viele Mehrfamilienhäuser und Ferienwohnungsblöcke. Auch hier sind die meisten Gebäude spannend gestaltet.

Einige Gebäude gehen allerdings schon Richtung Verfallsdatum und andere sind schon drüber raus.

Im kleinen Hafen von Pineta liegen vor allem Boote aus den 1960ern. Der Name unseres Pedalos stammt auch noch aus einer Zeit, wo man den Begriff Frühenglisch nicht kannte.

Am Strand gibt es zwei Spielplätze. Einmal 1960, einmal 2019.

Um den Hunger zu stillen, gehen wir ins Alla Pace. Eine gute Entscheidung. In Italien gibt’s 163 verschiedene Nudelsorten. Für Sabine gibt’s heute die Sorte Nr. 78 mit einem Namen, den wir schon wieder vergessen haben. Ich will das für Grado typische Boreto alla Gradese ausprobieren, eine Spezialität mit Fisch auf weisser Polenta an Weinsauce. Wunderbar.

Aber man kann ja nicht immer essen gehen. Manchmal kocht der Chef auch persönlich.

Es bleibt auch weiterhin frisch. Jede Nacht fällt das Thermometer in einstellige Bereiche. Deshalb muss am Abend und oft auch am Morgen geheizt werden. Es wird immer deutlicher, dass die Letzte Generation nicht verdampfen wird sondern erfrieren muss.

Ein nächtlicher Sturm mit unwetterartigem Regen bringt Wind mit Böen gegen 100 km/h. Zum Glück stehen wir so halbschräg im Windkanal. An Schlaf ist trotzdem kaum zu denken.

Die für Gelati so wichtige 15-Grad-Marke hat das Thermometer bisher noch nicht gesehen. Aber hey, meistens ist es wenigstens schön sonnig. Deshalb kreuzen wir auf der Suche nach Gelati durch Grado. Es gibt unglaublich viele Gelaterias im Ort. Leider sind alle geschlossen. Nur die Gelateria Cristallo ist offen und verkauft leckeres Eis. Fragola-Test bestanden.

Mit den Gelati geht’s ans Meer. Wir lassen uns den frischen Wind um die Nase streichen. Dieses blau, dieses Licht, diese Sonne. Grado ist einfach kaiserlich.

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Comments (2):

  1. dubu

    1. April 2023 at 15:49

    Der Bericht ist toll. Grado scheint sehr schön zu sein. Heimelig. Solche Gassen findet man in Mexiko in nur ganz wenigen Städtchen.

    • Living in a Box

      1. April 2023 at 18:18

      Vielen Dank für euren Kommentar. Ja, Grado ist wirklich eine Reise wert.

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